Die „Erfindung“ des Dr. Caligari


Nach dem Ersten Weltkrieg, den Janowitz (Drehbuchautor) als Offizier eines Infanterieregiments mitmachte, traf er in Berlin den Österreicher Carl Mayer (Drehbuchautor), der beim Theater war, und freundete sich mit ihm an. Eine Schauspielerin, Gilda Langer, Star an Eugen Roberts Residenz-Theater, schlug den beiden vor, ein Filmmanuskript zu schreiben. Auf der Suche nach einem geeigneten Filmstoff kristallisierte sich dann eine Geschichte heraus, die im wesentlichen aus zwei Komponenten bestand: aus Janowitzs Holstenwall-Erlebnis und aus Mayers traumatischer Begegnung mit einem Heerespsychiater. Der Holstenwall gab einen spannenden kriminalistischen Rahmen – und der Militärpsychiater stand für die Kriegsverachtung beider Autoren.

Noch aber fehlte ein Bindeglied. Die zwei fanden es auf einem Rummelplatz in der Berliner Kantstraße. Mayer nahm seinen Partner beiseite, um ihm eine Schaubude zu zeigen, die eine Attraktion unter dem Titel „Mensch und Maschine“ präsentierte: Ein junger Mann, der scheinbar unter Hypnose stand, vollbrachte allerlei Kraftakte. Damit waren die Elemente des Filmstoffs vollzählig: Der Psychiater wurde zum Hypnotiseur, der Jahrmarkt zu seiner chaotischen Wirkungsstätte, ein junger Mann unter seinem unheilvollen Einfluss zum willenlosen Mörder. Den Namen des Hypnotiseurs fanden sie in den „Unbekannten Briefen von Stendhal“, wo ein Offizier namens „Caligari“ vorkam. Sechs Wochen später war das Manuskript für den Film „Das Kabinett des Dr. Caligari“ fertig.

aus: »Sagenhafte Welten«